Weihnachten 2020

Die Apfelsine des Waisenknaben

Früher herrschten in einem Waisenhaus harte Sitten.
Von Charles Dickens (1812 – 1870) ist uns folgende Geschichte überliefert worden:                                             


Schon als kleiner Junge hatte ich meine Eltern verloren und kam mit neun Jahren in ein Waisenhaus in der Nähe von London. Es war mehr ein Gefängnis. Wir mussten 14 Stunden am Tage arbeiten – im Garten, in der Küche, im Stall und auf dem Felde. Kein Tag brachte eine Abwechslung, und im ganzen Jahr gab es für uns nur einen einzigen Ruhetag: Das war der Weihnachtstag. Dann bekam jeder Junge eine Apfelsine (= Orange) zum Christfest. Das war alles. Keine Süssigkeiten. Kein Spielzeug. Aber auch diese eine Apfelsine bekam nur derjenige, der sich im Laufe des Jahres nichts hatte zuschulden kommen lassen und immer folgsam war. Diese Apfelsine an Weihnachten verkörperte die Sehnsucht eines ganzen Jahres.

So war wieder einmal das Christfest herangekommen. Für mein Knabenherz bedeutete es aber fast das Ende der Welt. Während die anderen Jungen am Waisenhausvater vorbei schritten und jeder seine Apfelsine in Empfang nahm, musste ich in einer Zimmerecke stehen und zusehen. Das war meine Strafe dafür, dass ich im Sommer eines Tages hatte aus dem Waisenhaus weglaufen wollen.

Als die Geschenkverteilung vorüber war, durften die anderen Knaben im Hofe spielen. Ich aber musste in den Schlafraum gehen und dort den ganzen Tag. über im Bett liegen bleiben. Ich war tief traurig und beschämt. Ich weinte bitterlich und wollte nicht länger leben.

Nach einer Weile hörte ich Schritte im Zimmer. Eine Hand zog die Bettdecke weg, unter welche ich mich verkrochen hatte. Ich blickte auf. Ein kleiner Junge namens William stand vor meinem Bett, hatte eine Apfelsine in der rechten Hand und hielt sie mir entgegen. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Wo sollte eine überzählige Apfelsine hergekommen sein? Ich sah abwechselnd auf William und auf die Frucht und fühlte dumpf in mir, dass es mit dieser Apfelsine eine besondere Bewandtnis haben musste. Auf einmal merkte ich, dass die Apfelsine bereits geschält war – und als ich näher hinblickte, wurde mir alles klar. Tränen traten in meine Augen. Als ich die Hand ausstreckte, um die Frucht entgegen zu nehmen, da wusste ich, dass ich fest zupacken musste, damit sie nicht auseinander fiel.

Was war geschehen? Zehn Knaben hatten sich im Hof zusammengetan und beschlossen, dass auch ich zu Weihnachten meine Apfelsine haben müsse. So hatte jeder die seine geschält und einen Schnitz abgetrennt. Die zehn abgetrennten Schnitze hatten sie sorgfältig zu einer neuen, schönen und runden Apfelsine zusammengesetzt.

Diese Apfelsine war das allerschönste Weihnachtsgeschenk in meinem Leben. Sie lehrte mich, wie trostvoll echte Kameradschaft sein kann.



teilen
was wir sind und haben:
Zeit, Gebet, Talent und Gaben –


schenken
dabei zählt nur, wiegt und misst,
wie das Herz des Gebers ist –

annehmen
dankbar, froh, was uns bereit,
nichts ist Selbstverständlichkeit –

geschehen lassen
wer Liebe, Trost und Hilfe sät,
teilt Frucht der Solidarität –

unsichtbar
viral hielt uns das Jahr im Griff
die Menschheit treibt im selben Schiff –

auch Solidarität
streut hoch viral
unaufhaltsam überall,
überwindet Not und Leid
Angst und Ausweglosigkeit –

Auf-Blick zum Messias-Stern,
zu Jesus Christus, unserm Herrn –
ER umfängt all unser Leid
durch Sein Kommen in die Zeit,
durch Seinen Tod auf Golgotha
bleibt ER uns solidarisch nah.
ER erlöst, ER heilt, macht neu
Mensch und Schöpfung – ER bleibt treu!
Weihnacht lädt, aufs KIND zu schauen,
auf Sein MIT-SEIN zu vertrauen.

Weihnachten 2020,

Marlies Frast

Share by: